Automatische Meteorbeobachtung mit bildverstärkten Videokameras
von Sirko Molau

Teil 2

Die Datenanalyse war für lange Zeit der Flaschenhals bei der Videometeorbeobachtung. Wenn man eine Meteorkamera hat, kann man den Nachthimmel stundenlang aufzeichnen und dabei viele Meteore erfassen. Die Meteore jedoch aufzufinden und zu vermessen ist eine komplizierte Angelegenheit. Als die Amateurastronomen mit der Videobeobachtung begannen, steckte die PCs noch in den Kinderschuhen. Sie konnten bestenfalls die Positionsmessung und Koordinatentransformation unterstützen, aber das Auffinden der Meteore auf den Videobändern erforderte Beobachter, die sich die Videobänder ansahen. Auch die Positionsmessung mußte manuell erfolgen, da Framegrabber noch nicht zur Verfügung standen. Viele interessante Fragestellungen hätte man bearbeiten können, wenn die Auswertung der Videodaten effektiver wäre: Die Überwachung der Meteorstromaktivität während eines ganzen Jahres unabhängig vom Mond, der Temperatur und der Durchsicht, die Untersuchung von kleinen und großen Meteorströmen, das Registrieren von Meteorausbrüchen und das detaillierte Studium der Eigenschaften bestimmter Meteorströme (Helligkeitsverteilungen, Lichtkurven, Nachleuchten, usw.), die Feuerkugelüberwachung, die Untersuchung teleskopischer Meteorströme, die nur aus sehr schwachen Meteoren bestehen, und vieles andere mehr.

Die ersten Versuche, eine Software zur automatischen Meteorerkennung zu schreiben, reichen in das Jahr 1993 zurück. Damals entwickelte der Autor ein Programm das in der Lage war, den Videodatenstrom in vier Durchläufen nach Meteoren zu durchsuchen. Am Ende waren die Bemühungen aufgrund der begrenzten Rechenkapazität der PCs und der geringen Datentransferrate der Framegrabber jedoch nur teilweise erfolgreich. Problematisch waren auch die stark verrauschten Bildverstärker der ersten Generation, die zunächst zum Einsatz kamen. Drei Jahre später schrieb ein amerikanischer Amateur ein Programm, daß Meteore in Echtzeit erkennen konnte. Er verband den Computer mit seiner Meteorkamera und konnte damit im Laufe der Nacht Meteorbilder live aufzeichnen. Obwohl sein System niemals regelmäßig zum Einsatz kam zeigte es doch, daß die PC-gestützte Datenanalyse in Echtzeit nicht mehr unmöglich war. Inzwischen kamen auch bei uns mehr und bessere Meteorkameras zum Einsatz, was den Bedarf an effizienter Auswertesoftware noch erhöhte. Aus diesem Grund wurde das alte Softwarepaket vom Autor noch einmal komplett neu geschrieben. Mitte 1998 war dann die erste Version der neuen Software MetRec fertig.

Am Anfang ging es nur darum, daß MetRec die Meteore im Videosignal in Echtzeit registriert und ihre Aufleuchtzeiten speichert. Es konnte gezeigt werden, daß die Software diese Aufgabe gut bewältigt. In qualitativ hochwertigen Aufnahmen registriert MetRec etwa 80% der Meteore und übersieht nur die Schwächsten. Das ist vergleichbar mit der Erkennungsleistung eines Beobachters, der das Videoband in einem Durchlauf am Fernseher inspiziert.

Als diese Aufgabe gelöst war, wurde die Software weiter verbessert und ergänzt. Der Schwerpunkt verschob sich von einem reinen Meteordetektor zu einem Softwarepaket, daß die komplette Datenanalyse effizient online durchführt. Es wurden Routinen zur Koordinatentransformation und zur Messung der Helligkeit und Winkelgeschwindigkeit geschrieben. Die automatische Identifizierung des Meteorstroms und das Abspeichern der Meteorbilder und kurzer Bildsequenzen wurde ergänzt. Da am Ende der Entwicklung eine automatische Meteorkamera stehen sollte war das Hauptkriterium, daß alles mit möglichst wenig menschlicher Interaktion bei einem nur geringen Verlust an Genauigkeit verglichen mit der manuellen Vermessung einhergehen sollte.

Anfang 1999 war MetRec in der Lage, vollautomatisch Meteore zu beobachten. Seit dem März dieses Jahres wurde in Aachen auf regulärer Basis eine Meteorkamera in jeder klaren Nacht betrieben. Im Juli 1999 kam nahe Potsdam eine zweite Station hinzu, und weitere Stationen lieferten zusätzliche Beobachtungen in ausgewählten Nächten. Mitte 2002 ist das AKM-Videokameranetz auf weltweit acht Stationen angewachsen, die den Nachthimmel regelmäßig überwachen, und weiteren fünf Stationen, die unregelmäßig Daten beisteuern. Zudem wird MetRec von verschiedenen astronomischen Instituten genutzt. Von besonders großer Hilfe war die Software bei der Auswertung der Leoniden 1999 und 2001, wo detaillierte Ergebnisse der Meteorstürme wie Aktivitätsprofile und Radiantenplots schon kurze Zeit nach der Beobachtung verfügbar wurden.

Eine typische automatische Meteorbeobachtung kostet etwa 15 Minuten an manueller Arbeit und ergibt zwischen ca. zwanzig (Frühjahr) und hundert (Herbst) Meteoren in einer klaren Nacht abseits größerer Meteorströme. Die Kamera wird an einen möglichst dunklen Ort aufgestellt, aber auch in Stadtrandgebieten ist die Beobachtung möglich. Wenn die Videokamera neu ausgerichtet wurde, muß zunächst ein Referenzbild digitalisiert und die darin vorhandenen Sterne vermessen werden, um später die Position der registrierten Meteore ausrechnen zu können. Mit einem Zusatzprogramm von MetRec benötigt man dazu etwa zehn Minuten. Wenn die Kamera seit der letzten Beobachtung nicht bewegt wurde, kann die Beobachtung sogar in weniger als einer Minute begonnen werden. Das Videosignal der Kamera wird direkt in den PC gespeist, der es digitalisiert, nach Meteoren durchsucht und alle wichtigen Parameters der gefundenen Meteore bestimmt du abspeichert. Nach der Beobachtung hilft ein zweites Programm bei der effizienten Nachverarbeitung der Beobachtung, d.h. bei der Beseitigung von Fehldetektionen, die üblicher Weise durch Flugzeuge, Vögel oder Insekten entstehen. Das kostet noch einmal fünf Minuten. Am Ende hat man ein Textfile, in dem alle Daten einer Nacht gespeichert sind, Bilder und Bildsequenzen von der registrierten Meteoren und Datenbankfiles in IMO's PosDat-Format. Diese können direkt von anderen Analyseprogrammen wie Radiant von Rainer Arlt eingelesen werden, um die Aktivität bekannter und unbekannter Meteorströme zu untersuchen.

MetRec wurde so geschrieben, daß es leicht an unterschiedliche Kameras und Aufgaben adaptiert werden kann. Die Benutzeroberfläche und die Dokumentation liegen in Englisch vor (es gibt auch eine japanische Dokumentation), das Programm läuft unter Dos (oder Win95/98) und viele Parameter können über ein Konfigurationsfile an ein bestimmtes PAL- oder NTSC-Kamerasystem angepaßt werden. Für Amateurastronomen steht die Software zum kostenlosen Download im Internet bereit.

Allein im Jahr 2001 konnte das Kameranetz des Arbeitskreises Meteore e.V. (AKM) nahezu 50.000 Meteore in mehr als 6.300 Stunden effektiver Beobachtungszeit aufzeichnen. Viele davon wurden während weder Leoniden und Perseiden registriert, aber auch viele kleine Meteorströme konnten gut abgedeckt werden. Bisher wurden die meisten Videodaten gesammelt und nur wenige Meteorströme genauer analysiert. Wir planen jedoch gründlichere Untersuchungen sobald mehr Daten zur Verfügung stehen. Zudem werden die Daten anderen Interessierten über das Internet kostenlos zur Verfügung gestellt. Wir hoffen, daß wir innerhalb der nächsten drei Jahre einen vollständigen Überblick über die Meteorströme der nördlichen und südlichen Hemisphäre erlangen können.

Zu den zukünftigen Aufgaben gehört die Fertigstellung einer Software zur Auswertung von Mehrstationsbeobachtungen. Die Idee ist vergleichbar: Es soll mit möglichst geringer manueller Interaktion eine große Zahl präziser Meteoroidenorbits während des ganzen Jahres gewonnen werden. Während sich der Radiant eines Meteorstroms durch Beobachtungen einer Station erst auf statistischem Wege anhand einer größerer Zahl an Strommeteoren nachweisen läßt, kann mit Parallelbeobachtungen von zwei oder mehreren Stationen für jedes einzelne Meteoroid ein zuverlässiger Orbit und Radiant bestimmen werden. Schließlich soll die Software in Zukunft einmal ohne Zusatzhardware wie Framegrabber auskommen und auch unter den aktuellen Versionen von Windows zur Verfügung stehen.


Abbildungen


Abb. 1: Der wichtigste Vorverarbeitungsschritt ist die Identifikation und Vermessung von Referenzsternen zur späteren Koordinatentransformation. Das RefStars-Programm liefert ein komfortables Interface für diese Aufgabe.


Abb. 2: MetRec während der Arbeit: Im linken oberen Bild wird der originale Videodatenstrom dargestellt. Rechts oben ist der konstante Bildhintergrund subtrahiert. Das untere linke Bild zeigt eine Art Flatfield, mit dem die Varianz des Rauschens normalisiert wird oder alternativ ein Bild vom letzten erkannten Meteor. Rechts unten kann eine Sternkarte mit dem letzten oder allen registrierten Meteoren eingeblendet werden. Andere Fenster geben Statusinformationen, die Zahl der registrierten Meteore pro Strom und die letzten Logfileeinträge aus.


Abb.3 : Das PostProc-Programm ermöglicht die effiziente Nachbearbeitung der Beobachtung. Zu jedem detektieren Objekt wird ein Bild zusammen mit allen Daten angezeigt. Der Nutzer kann entscheiden, ob es sich tatsächlich um ein Meteor handelt. Fehldetektionen werden später aus dem Logfile und aus allen Datenbanken gelöscht.


Abb. 4: Stand des AKM-Videokameranetzes im August 2002: Gefüllte Kreise markieren die Position von Kameras, die regelmäßig betrieben werden (Aachen, Dresden, Leopoldshöhe, Marquardt, Noordwijkerhout/NL) und offene Kreise die Stationen, die unregelmäßig im Einsatz sind (Düsseldorf, Moreton/UK, Salzwedel). Nicht dargestellt sind die Beobachtungsorte in Finnland, auf den Kanaren und in Australien.


Abb. 5: Eine Auswahl hellerer Meteore, die von der Kamera Avis in einer typischen Augustnacht (23./24. August 2000) aufgezeichnet wurden. Oben Mitte und rechts sind jeweils Aurigiden zu sehen, unten links ist ein delta-Aquarid, und die anderen drei sind sporadische Meteore.




Abb. 6: Ein -1 mag heller Orionid, der von Avis am 21. Oktober 2000 aufgezeichnet wurde. Zu sehen sind ein Summenbild aus 19 Videobildern (Dauer: 0.8s), das die komplette Spur zeigt, und eine Bildserie die zeigt, wie das Meteor mit 28 Grad/s durch das Sternbild Große Bärin fliegt.


Abb. 7: Diese Radiantenanalyse von kleinen Meteorströmen wurde mit der Software Radiant erstellt und soll die Leistungsfähigkeit der automatischen Videometeorbeobachtung demonstrieren. Zugrunde gelegt wurden die Daten, die von einer Kamera (Avis) im Juli und August 1999/2000 gesammelt wurden. Das linke Bild zeigt den Radianten der alpha-Capricorniden (93 Meteore), das mittlere Bild den delta-Aquariden-Komplex (226 Meteore) und das rechte Bild den Radianten der kappa-Cygniden (211 Meteore).