Luftspiegelungen : Geschichte und Literatur
von Claudia Hetze

Die Bezeichnung Fata Morgana läßt sich nach der Legende auf Morgana, eine Fee und Halbschwester des sagenumwobenen König Artus zurückführen, die ihre Macht durch Luftspiegelungen ausübte. Italienische Dichter beschrieben sie als in einem Palast nahe den Meereswogen wohnend. Wahrscheinlich wurden ihr deshalb auch die komplizierten Spiegelungen zugeschrieben, die gelegentlich in der Straße von Messina auftauchen, wobei Felsen und Klippen in wunderbare Säulen und Mauern eines scheinbar riesigen Palastes gedehnt wurden.

Luftspiegelungen nähren bis heute Legenden. Erst vor 200 Jahren kamen die Wissenschaftler dem Spuk auf die Schliche. Noch im 13. Jahrhundert sah Marco Polo in den Spiegelbildern der Luft Zeichen und Gesten böser Geister, die ihn und seine Gefährten narrten und in die Irre leiten wollten. In der Natur bildet sich zuerst die Inversionsschicht an der Grenze zwischen kalter und warmer Luft. Dann spiegelt sich von dieser Linie die Landschaft auf dem Kopf nach oben. Manchmal erscheint darüber noch mehr oder weniger deutlich ein zweites aufrecht stehendes Bild. Auch ein Berg wird mitunter von spiegelnden Luftschichten in den Himmel gehoben und kann aus mehr als 100 km Entfernung beobachtet werden. Vielleicht waren es somit auch Fata Morganen, die den Wikingern vor mehr als 1000 Jahren den Weg nach Westen gewiesen haben könnten. Nach überlieferten Berichten sollen den Seefahrern die Küsten Grönlands und Nordamerikas bereits aus einer Entfernung von 200 Seemeilen am Himmel erschienen sein.

Luftspiegelungen könnten auch solche Geisterschiffe erklären, die mal hier, mal dort über dem Wasser schwebten, auf Signale keine Antwort gaben und nur für kurze Zeit auftauchten, wie der fliegende Holländer. Auch ein anderes Phänomen hält seit alters her die Menschen in Atem, die Meeresungeheuer. Objekte, die eine Ebene überragen, können durch Luftspiegelungen nach oben ein vielfaches ihrer tatsächlichen Größe annehmen. In mittelalterlichen Schriften heißt es über Meeresungeheuer: das Monstrum ist schlank, von großer Figur und steigt senkrecht aus dem Wasser empor, es hat Schultern, aber keine Hände und nie hat jemand gesehen wie das untere Ende geformt ist, oder ob der Körper Schuppen hat, wie ein Fisch oder Haut wie ein Mensch. Und vielleicht sind auch die Fabelwesen unserer Tage, wie z.B. das Ungeheuer von Loch Ness nichts anderes als Luftspiegelungen.

In der Wüste scheinen sich endlose Dünenlandschaften oft in Seen zu verwandeln. Dies ist der gleiche Effekt, wie hierzulande der „schwimmende Asphalt", eine Luftspiegelung nach unten, die in heißen Sommermonaten die Sinne so mancher Autofahrer zu täuschen vermag.

Und so fragt sich z.B. auch der amerikanische Physiker Alastair B. Fraser, ob nicht etwa der unversehrte Durchzug der Israeliten durch das rote Meer mit einer Luftspiegelung im Zusammenhang stehen könnte. Fraser vermutet, daß Moses' Route nördlich des roten Meeres verlief, durch ein ideales Gelände für Fata Morganen. Dann könnte Moses sein Volk tatsächlich trockenen Fußes durch das zur Rechten und zur Linken wie eine Mauer stehende Wasser geführt haben. Diese Theorie wird dadurch gestützt, da das aus den Städten Ägyptens geflüchtete Volk mit der Wüste und ihren Trugbildern kaum vertraut waren. So könnte Täuschung und göttliches Wunder dicht beieinander gelegen haben. Im alten Testament heißt es dazu: „Der Herr ließ das Meer austrocknen und das Wasser spaltete sich. Die Israeliten zogen auf trockenem Boden ins Meer hinein, während links und rechts von ihnen das Wasser wie eine Mauer stand."

Eine erste theoretische Erklärung dieses Phänomens durch Refraktion an verschieden dichten Elementen gab 1809 der französische Physiker Jean-Baptiste Biot (1774-1862).

Luftspiegelungen in der Literatur


Vernahmst Du nichts von Nebelstreifen,
die auf Siziliens Küste schweifen?
Dort, schwankend klar, im Tageslicht,
Erhoben zu den Mittellüften,
Gespiegelt in besondren Düften,
erscheint ein seltsames Gesicht:
Da schwanken Städte hin und nieder,
wie Bild um Bild den Äther bricht.
[Goethe]

Die Werke der Ungläubigen aber gleichen der Luftspiegelung in der Ebene, die der Dürstende für Wasser hält. Bis daß, wenn er zu ihr kommt, er nichts findet
[Koran, Sure 24]

Da ertönt ein lauter Jubelschrei: „Über dem Gesichtsfeld heben sich die Umrisse der ersehnten Oase empor. Zwischen grünen Hainen schimmert es wie das Wellengekräusel eines Sees. Die Jubelnden wollen ihre Kamele in schnellere Bewegung setzen. Die Tiere aber lassen sich nicht täuschen; ihr scharfer Geruch hätte ihnen gesagt, wenn wirklich Wasser vorhanden wäre.
[Karl May]

Und immer ging es weiter,
und immer ward es breiter,
und unser ganzes Ziehen,
es schien ein ewig Fliehen,
Blau hinter Wüst und Heere,
der Streif erlogner Meere.
[Goethe]

Man hatte sie (die sterbende, fast 90jährige Trien Jans) in den Kissen aufgerichtet, und ihre Augen gingen durch die kleinen bleigefaßten Scheiben in die Ferne; es mußte dort am Himmel eine dünnere Luftschicht über einer dichteren liegen, denn es war hohe Kimmung, und die Spiegelung hob in diesem Augenblick das Meer wie einen flimmernden Silberstreifen über den Rand des Deiches, so daß es blenden in die Kammer schimmerte; auch die Südspitze von Jeverssand war sichtbar.
[Theodor Storm „Der Schimmelreiter"]

Das ist das Wunderbare an diesen Inseln: daß sie sich durch Strahlenbrechung von der See zu lösen scheinen und darüber zu schweben beginnen, so als ob sie völlig leicht und wie verzaubert im Äther trieben.
[H. von Wermeskerken „Terschelling"]

Wetterregeln

Wann immer das Ungeheuer sich gezeigt hat, konnte man sicher sein, daß ein Sturm folgen würde.
(aus Kins Mirror, eine Sammlung mittelalterlicher Geschichten aus der Mitte des 13. JH)

Es gibt den Wal und es gibt den Wassernix, das größte wilde Tier, aber ohne Kopf und Schwanz. Das heißt, er ist wie ein Baumstamm, wenn er auf- und abspringt und er zeigt sich nicht, ohne Gefahr für Seeleute vorherzusagen.
(aus einer norwegischen Geschichte, verfaßt 1170)

Die Voraussage von Stürmen nach Sichtung von Wassergeist oder Seejungfrau läßt sich teilweise nachvollziehen. Die Beobachtung der Seeungeheuer, d.h. das Vorhandensein von Luftspiegelungen setzt bestimmte Temperaturprofile über dem Wasser voraus. Diese Thermoklinien werden am besten produziert, wenn warme Luftmassen sich relativ ruhig über signifikant kälteres Wasser schieben. Im Nordatlantik sind solche Bedingungen häufig in den Endphasen des Ausbleibens einer Warmfront gegeben, wenn die Grenzfläche dicht über dem Meer liegt. Die absolute Windstille, gefolgt von einem plötzlichen Temperaturanstieg sind typische Voraussetzung für die nachfolgende Ausbildung eines starken Sturmtiefes.