Leonidenstürme 2002: Nutzen Sie Ihre letzte Chance!
von Hartwig Lüthen
Abbildung 1: Weg der Erde (durchgezogene blaue Linie) durch
das System der Dust-Trails des Kometen Tempel-Tuttle im Jahr 2002. Die
Querschnitte der Trails sind durch die farbigen Ellipsen angedeutet. Die
Erde passiert fast zentral die 7 und 4 Umläufe alten Dust-Trails von
1866 und 1767. Zum Zeitpunkt dieser Passagen ist mit Meteorstürmen
zu rechnen.
Ähnlich wie 2001 werden wir auch in diesem
November Leonidenstürme beobachten können. Nach dem Dust-Trail-Modell
(Abbildung 1) passieren wir am 19. November 2002 zwei Trails: Gegen 4:00
UT werden wir die 1767 vom Kometen ausgestoßenen Partikel treffen
(derselbe 7 Umläufe alte Trail, der 2001 über Amerika beobachtet
wurde), und gegen 10:29 UT durchquert die Erde den Dust-Trail von 1866
(den 4 Umläufe alten Trail, der 2001 in Asien zu sehen war). Zu beiden
Zeitpunkten werden kurze, heftige Meteorstürme mit Raten von einigen
tausend Meteoren pro Stunde erwartet. Natürlich kann man sie nur nachts
sehen, und das auch nur, wenn der Leonidenradiant über dem Horizont
steht. Daher sind die Sichtbarkeitsgebiete für die Meteorstürme
recht begrenzt. Dies war in den vergangenen Jahren Grund für vielfältige
Reiseaktivitäten. Und es lohnte sich: 1998 eine Feuerkugelnacht in
der Mongolei, 1999 und 2001 Meteorstürme in Teneriffa bzw. Korea...
Dieses Jahr sitzen wir Europäer in der ersten Reihe. Das Maximum
des 7 Umläufe alten Dust-Trails ist von Mittel- und Westeuropa bestens
zu sehen. Die Beobachtung des zweiten Maximums erfordert eine Reise nach
Nord- oder Mittelamerika.
Phasen hoher Meteoraktivität bieten die Leoniden nur alle 33 Jahre.
Der Komet passierte die Sonne im Jahre 1998, und die diesjährigen
Dust-Trail-Passagen sind die letzten, die Sturmraten bewirken können.
Schlimmer noch: Bei der nächsten Rückkehr des Kometen im Jahre
2032 gehen wir wohl leer aus. Möchten Sie also dieses Jahr Ihre vorerst
letzte Chance zur Beobachtung eines Leonidensturms nutzen?
Feuerwerk in der Vollmondnacht
Ein Wermutstropfen ist die Mondphase. Nur einen Tag nach den Meteorstürmen
ist Vollmond! Der helle Himmel wird die Beobachtung sehr erschweren. Geht
die Sterngrenzhelligkeit um eine Größenklasse zurück, vermindert
sich die Zahl der gesehenen Meteore auf die Hälfte bis ein Drittel.
Glücklicherweise steht der Mond weitab vom Radianten. Man sollte ihn
im Rücken haben, eventuell hinter einem Gebäude verdeckt, um
direkte Blendung auszuschließen. In jedem Fall ist das Aufsuchen
eines dunstfreien, hoch gelegenen Beobachtungsplatzes anzuraten.
Wo findet man im Schmuddelmonat November einen kristallklarem Sternenhimmel?
Um diese Frage zu beantworten, habe ich wieder einmal hunderte von Satellitenbildern
ausgewertet. Hierbei wurde geschätzt, welche Chance für die Beobachtung
eines Leonidensturms an dem jeweiligen Beobachtungsort besteht (0% = völlig
chancenlos, 100% = klare Sache). Untersucht wurde das Zeitintervall vom
12. bis 22. November aus drei oder mehr Jahrgängen der Satellitenbilder,
und für jeden Ort wurden die Zahlenwerte dann gemittelt. Zusätzlich
wurde mit Guide 8.0 die Radiantenhöhe und die Höhe des Vollmonds
zu den Maximumszeitpunkten bestimmt. Die Ergebnisse ergaben fünf
mögliche Strategien für den Beobachter:
1. Zuhause bleiben
Mitteleuropa liegt in einer Westwindzone, und im November jagt ein
Tiefdruckgebiet das nächste. Ein typisches Wetterbild zeigt Abbildung
2. Auch die seltenen Zwischenhochs bringen wenig, weil sie zur Nebelbildung
neigen. 1999 und 2000 versuchten einige Astroamateure mit unterschiedlichem
Erfolg, in Mitteleuropa die Leonidenmaxima zu beobachten. Leider ist die
Chance für klares Wetter für einen gegebenen Standort nur sehr
gering. Für Berlin beträgt sie nach Auswertung der Satellitenbilder
nur 28%. Und selbst dieser Wert ist mit Sicherheit zu optimistisch geschätzt,
da auf IR-Satellitenbildern Nebelbänke kaum sichtbar sind.
Fazit: Strategie 1 bietet die geringsten Erfolgsaussichten. Beim Leonidensturm
1999 hatten jedoch einige Kieler Sternfreunden Glück damit.
Abbildung 2: Typisches METEOSAT-Infrarot-Wetterbild (17. November
1997, 6:00 UT) von Europa und Nordafrika. Westeuropa und große Teile
des Mittelmeergebiets sind bewölkt. Teile Deutschlands und Polens
sind offenbar wolkenfrei, aber eine genaue Betrachtung des Bildes macht
es wahrscheinlich, dass Nebelbänke über der Region liegen (Nebel
ist auf IR-Bildern kaum sichtbar). Teneriffa und Süd-Tunesien sind
wolkenfrei, während vereinzelte Wolken in der Region um Agadir (Marokko)
sichtbar sind.
2. Cruising
Um dem schlechten Wetter zu Hause auszuweichen kann man versuchen,
mit dem Auto mehr oder minder gezielt ein Aufklarungsgebiet anzusteuern.
Wolkenprognosen findet man im Internet bei HTTP://THEYR.COM/CG/CNY/EUR
oder bei HTTP://WWW.DWD.DE/FORECASTS/DEUFRM.HTM. Ein aktuelles Wetterbilder
liefert z.B. HTTP://WWW.WETTERZENTRALE.DE. Ein Problem ist, dass man nach
Beginn der Fahrt in der Regel von weiteren Internetinformationen abgeschnitten
ist. Um einen dunstfreien Himmel zu erhaschen, ist ein hoch gelegener Beobachtungsplatz
sicherlich nützlich. Strategie 2 ist bereits gut erprobt: Beim Maximum
2000 fuhren etliche Sternfreunde internetgesteuert den Nordrand des Harzes
an, wo sie trotz Mond zumindest Teile des Meteormaximums sehen konnten.
3. Spontanflug ins Mittelmeergebiet
Um den mitteleuropäischen Wolken zu entgehen, verfolgten AKM-Beobachter
den Leonidensturm von 1999 in Teneriffa, Jordanien und Südspanien.
Als die Wetterprognose für Deutschland zum Verzweifeln war, aber Südspanien
klares Wetter versprach, buchte die letztgenannte Gruppe am Vortag einen
Flug nach Malaga, nahm sich dort einen Mietwagen und flog zwei Tage später
nach erfolgreicher Beobachtung zurück. Leider bietet sich diese Strategie
2002 nur eingeschränkt an. Die Fronten über Mitteleuropa ziehender
Tiefdruckgebiete reichen nämlich häufig noch in den Mittelmeerraum
hinein. Zudem bilden sich oft über dem westlichen und/oder dem östlichen
Mittelmeer stabile Schlechtwettergebiete. Die Chancen für klaren Himmel
liegen daher in Südspanien, Südfrankreich oder Mallorca nur bei
40-50% (Tabelle 1). Das ist zwar deutlich besser als in Deutschland, aber
eben nicht wettersicher. Anders als 1999 wird man bei starker Bewölkung
über dem westlichem Mittelmeerraum nicht nach Osten ausweichen können,
weil es dort zum Maximumszeitpunkt schon hell ist.
Geeignete hoch gelegene Beobachtungsplätze befinden sich z.B.
in der südspanischen Sierra Nevada oder in der südfranzösischen
Haute Provence (letztere ist von Süddeutschland aus auch gut mit dem
Auto an einem Tag zu erreichen).
Ort |
Wetterchance [%]
|
Radiantenhöhe [°]
|
Mondhöhe [°]
|
Zeitreserve [h:mm]
|
Berlin |
28
|
54
|
13
|
0:34
|
Sierra Nevada |
48
|
54
|
24
|
1:24
|
Haute Provence |
46
|
58
|
16
|
0:53
|
Mallorca |
43
|
58
|
19
|
1:03
|
Tozeur (Tunesien) |
65
|
63
|
14
|
0:36
|
Agadir (Markokko) |
84
|
49
|
29
|
1:44
|
Teneriffa |
84
|
42
|
35
|
2:10
|
Tabelle 1: Bedingungen zur Sichtbarkeit der Leoniden in Europa
und Nordafrika. Als Maximumszeit wurde der 19. November 2002, 4:00 UT angenommen.
Die Wetterchance ergibt sich aus einer Analyse von Satellitenbildern. Angegeben
sind auch die Radiantenhöhe und die Höhe des Vollmondes in Grad
sowie der Zeitraum zwischen berechnetem Maximum und dem Beginn der astronomischen
Dämmerung (Sonne 18° unter dem Horizont).
4. Nordafrika und kanarische Inseln
Das Wetter direkt an der nordafrikanischen Mittelmeerküste unterscheidet
sich kaum von dem der europäischen. Jeder Kilometer nach Süden
Richtung Sahara verbessert aber die Wetterchancen. Von der touristischen
Infrastruktur kommen Tunesien und Marokko in Frage. In Tunesien ist es
schwierig, weit genug nach Süden zu kommen. Selbst am Wüstenrand
bei Tozeur ist die Chance nur im 60%-Bereich und häufig ist hier der
Himmel dunstig. 1999 hatte eine französische Gruppe dort mit Wolken
zu kämpfen. Besser ist die Statistik an der marokkanischen Küste.
Im Atlasgebirge kann man eventuell sogar hoch gelegene Standorte finden.
Ob man da nachts mit Mietwagen herumfahren sollte, muß jedoch jeder
selber wissen.
Von den Kanaren käme vor allem Teneriffa in Betracht. Die gut erschlossene
Hochfläche der Canadas ragt oft über die Wolken und bietet in
2000-2500m Höhe häufig einen völlig dunstfreien Himmel.
Auch hier der November einer der schlechtesten Monate des Jahres. Gute
Wetterchancen ergeben sich dennoch durch topographische Effekte (z.B. konnten
wir die Leoniden 1999 dort trotz insgesamt schlechter Großwetterlage
im Wolkenschatten des 3700m hohen Vulkans Teide sehen). Mobil sein lohnt
sich also.
5. Rechtzeitig nach Westen fliegen
Eine andere Möglichkeit ist eine Beobachtung des zweiten Maximums
in Nord- oder Mittelamerika, bei dem nach aktuellen Vorhersagen mit noch
höheren Zenitraten zu rechnen ist. Auch weite Teile der USA liegen
in einer Westwindzone. Fronten kommen aber in größerem Abstand
herein als in Mitteleuropa, und das Klima im Landesinneren ist kontinentaler
(Abbildung 3). Generell sind Standorte weit im Süden und Südwesten
der USA, wo Ausläufer nur noch selten durchziehen, am wettersichersten.
Dort können allerdings auch episodenartige Einbrüche von Bewölkung
aus SW oder S vorkommen, weshalb noch südlicher gelegene Beobachtungsplätze
(Mexiko) wenig zusätzliche Sicherheit bringen (Tabelle 2). Vorzuziehen
sind auch hier hoch gelegene Beobachtungsplätze. Sternwarten wie Mount
Palomar, Kitt Peak und das McDonald Observatorium liegen in einer Zone
mit ca. 80%iger Wettersicherheit.
Ein geeigneter Zielflughafen für eine Leonidenexpedition nach Amerika
wäre z.B. Phoenix. Hier ist man schon in der richtigen Region. Je
nach Wetter kann man Richtung Big Bend Nationalpark (Texas) oder ins südliche
Arizona oder New Mexico fahren. Hoch gelegene, dunstfreie Plätze gibt
es an vielen Stellen. Bei von Süden oder Südwesten aufkommender
Bewölkung sollte man allerdings auf der Hut sein und in Erwägung
ziehen, nach Norden auszuweichen. Internetcafés sollten eine gute
Möglichkeit zur Einschätzung der Lage bieten.
Ort |
Wetterchance [%]
|
Radiantenhöhe
[°] |
Mondhöhe [°]
|
Zeitreserve [h:mm]
|
Mount Palomar |
81
|
42
|
39
|
2:29
|
Kitt Peak |
83
|
46
|
36
|
2:04
|
Big Bend |
82
|
54
|
28
|
1:28
|
Santa Fe |
78
|
49
|
20
|
1:44
|
Nevada |
57
|
42
|
38
|
2:29
|
Denver (Colorado) |
61
|
50
|
30
|
1:46
|
Indianapolis |
63
|
62
|
16
|
0:34
|
Puebla (Mexiko) |
84
|
55
|
23
|
0:57
|
Tabelle 2: Bedingungen zur Sichtbarkeit der Leoniden in Nordamerika.
Als Maximumszeit wurde der 19. November 2002, 10:30 UT angenommen. Sonstige
Angaben wie in Tabelle 1
Abbildung 3: Typisches GOES-Infrarot Wetterbild der amerikanischen
Region (15. November 1998, 17:45 UT). Eine Reihe in Tabelle 2 aufgeführte
Orte sind als kleine Quadrate markiert. Während die Staaten im Nordwesten
von einem Schlechtwettergebiet überquert werden, ist der Himmel über
Südkalifornien, Arizona, New Mexico dem westlichen Texas und Teilen
des mittleren Westens klar.
Fazit
Der voraussichtlich letzte Leonidensturm unseres Lebens ist allemal
eine aufwändige Beobachtungsaktion wert. Die Bedingungen im Jahr 2002
werden allerdings durch den Vollmond eingeschränkt. Wo auch immer
Sie das Ereignis verfolgen, vom heimischen Balkon, von einem Autobahnparkplatz
oder von den Höhen der Sierra Nevada, Teneriffas oder des Colorado-Plateaus:
Viel Glück!
Wir vom Arbeitskreis Meteore würden uns freuen, wenn Sie uns nach
erfolgreicher Beobachtung ihre Ergebnisse zukommen lassen, denn einfache
visuelle Beobachtungen sind für die Bestimmung des Aktivitätsprofils
enorm wichtig. Damit die Beobachtung sinnvoll ausgewertet werden kann,
benötigen wir neben den üblichen Angaben (Beobachtungsort, Datum
und Zeit) lediglich ihre visuelle Sterngrenzgröße und die Zahl
der beobachteten Leoniden/Nichtleoniden in kurzen Zeitintervallen (1-2
Minuten während des Meteorsturms).
Beobachtungsberichte gehen an: Jürgen Rendtel, Seestraße
6, 14476 Marquardt, e-Mail
jrendtel@aip.de.
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