Der Grüne Strahl ist ein atmosphärisches Brechungsphänomen, und zeigt sich am oberen Rand der Sonne durch kurzzeitig grünes Aufleuchten. Er wird selten mit blosem Auge gesehen, hauptsächlich weil spezifische Bedingungen für die Entstehung benötigt werden, aber auch, weil viele nicht wissen, wann und wo danach zu suchen ist.
Der grüne Strahl kann drei verschiedene Erscheinungsformen annehmen:
Die grundlegende Ursache für den Grünen Strahl ist eine Brechung des Lichtes der Sonne. Da die Refraktion nahe am Horizont am stärksten ist, wird dort das letzte Lichtsegment der untergehenden Sonne in seine Spektralfarben zerlegt. Es gibt einen roten, grünen und blauen Sonnenrand. Diese Aufspaltung nimmt gen Horizont zu, ist allerdings auch dort nur einige Bogensekunden klein (eine Bogensekunde ist 1/3600 Grad). Da der rote Rand zuerst untergeht, liegen für sehr kurze Zeit nur noch der blaue und der grüne Rand über dem Horizont. Durch die Verschmutzung der Atmosphäre wird das blaue Licht stark abgeschwächt und für wenige Sekunden ist tatsächlich der grüne Rand zu sehen. Bei außerordentlichen Bedingungen kann in seltensten Fällen auch das blaue Licht gesehen werden.
Aber welche Bedingungen sind erforderlich, um den grünen Strahl wahrnehmen zu können? Der grüne Strahl kann gut beobachtet werden, wenn ein freier Horizontblick vorhanden und die Luft sehr klar und sauber ist. Das ist auch der Grund, warum ein grüner Strahl häufig am unendlichen Horizont über Meeren und Ozeanen beobachtet wird, wo die geometrische Sicht zum Horizont fast parallel ist. Auch von Berggipfeln bietet sich eine Beobachtung an, da man sich häufig über der Inversionsschicht befindet.
Um den Grünen Blitz gut zu beobachten, ist es wichtig, gewissenhafte Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um ernsthafte Augenschäden zu verhindern! Obwohl die Sonne nahe dem Horizont ist und die Helligkeit durch die Atmosphäre vermindert wird, ist die Sonne noch sehr hell und längere Beobachtung mit bloßem Auge oder mit optischen Instrumenten ist für die Augen permanent schädlich.
Der Grüne Strahl kann nicht nur an der Sonne, sondern natürlich auch am Mond auftreten. Selbst an Venus, Jupiter und Saturn ist er schon beobachtet worden.
Neben dem Grünen und dem Blauen Strahl gibt es folgerichtig auch den Roten Strahl. Dieser tritt dann auf, wenn der unterste Rand von Sonne oder Mond gerade über dem Horizont aufsteigt oder wenn die Sonne hinter eine scharf abgegrenzte Wolkenbank nahe dem Horizont gesunken ist und ihr unterster Abschnitt unter der Wolkenbank zum Vorschein kommt. Diese Erscheinung ist allerdings noch flüchtiger als der Grüne Strahl. Außerdem kommt es hier selten vor, daß ein "echter" Strahl emporschießt. Deshalb ist es sehr schwierig, den Roten Strahl zu beobachten.
Für die Entstehung des Grünen Segmentes ist eine ruhige und geschichtete Atmosphäre mit Schichten unterschiedlich dichter Luftmassen erforderlich. Wenn die Sonne einige Grad über dem Horizont steht, sieht sie verzerrt und vertikal flachgedrückt aus. Je mehr sie sich dem Horizont nähert, desto flachgedrückter erscheint sie. Bald erscheint der Sonnenrand auf beiden Seiten eingekerbt. Diese durch Refraktion und Spiegelungen hervorgerufenen Kerben erwecken den Eindruck auf der Ober- oder Unterseite der Sonne "zu reiten" und färben sich dann plötzlich Grün. Die Intensität der Farbe hängt von vielen Faktoren ab. Wenn die Sonne zu hell ist, bleichen die Farben aus. Aber umgekehrt, wenn sie zu schwach ist, sind ebenfalls kaum Farben erkennbar. Infolgedessen sind eindeutige Fotografien des grünen Segmentes sehr schwierig zu verwirklichen.
Atmosphärische Spiegelungseffekte bewirken auch den Grünen Saum oder den sogenannten Novaya Zemlya Effekt (benannt nach einer Inselkette, die sich von den Bergen des Urals in Rußland bis in das arktische Meer ausdehnen). Ein schmaler grüner Streifen umsäumt den oberen Rand der Sonne und ist manchmal selbst dann noch sichtbar, wenn die Sonne selbst längst untergegangen ist. Als schmaler grüner Lichtschlitz wandert er am Horizont entlang, wie die Sonne darunter. Dieser Effekt tritt hauptsächlich in den höheren Breiten auf, in denen der Winkel der Sonnenbahn zum lokalen Horizont sehr flach sein kann. Jedoch selbst wenn dieser Effekt in den mittleren Breiten beobachtet werden kann, ist er gelegentlich noch bis wenige Minuten nach Sonnenuntergang sichtbar.
Habt ihr jemals die Sonne am Horizont untergehen sehen? - Ja sicher! - Habt ihr sie verfolgt, bis der oberste Rand ihrer Scheibe
den Horizont gerade berührte und hinabtauchen wollte? - Sehr wahrscheinlich wohl. - Aber habt ihr die Erscheinung bemerkt,
die beim letzten Sonnenstrahl entsteht, wenn der Himmel ohne Nebel und vollkommen klar ist? - Vielleicht nicht. - Nun, das
nächste Mal, da sich wieder Gelegenheit zu dieser Beobachtung bietet (sie ist sehr selten), achtet darauf, daß es kein roter
Strahl ist, den ihr sehen werdet, sondern ein grüner Strahl, wunderschön grün, von einem Grün, daß kein Maler auf seine Palette
bekommen kann, ein Grün, daß die Natur nirgendwo sonst mehr hervorgebracht hat, weder in der Farbenvielfalt der Pflanzen
noch in der Farbe der klarsten Meere! Gibt es ein Grün im Paradies, dann kann es kein anderes als dieses Grün sein, das wahre
Grün der Hoffnung.
[Jules Verne: Le Rayon vert]
Terasse auf einer Düne, weite Sicht über die Nordsee. Wasser
tiefblau, wolkenloser Himmel, keine Trübung, kein Dunst, Horizont straff
und scharf. Weiße Schleier zeigen sich hellblau, alle Schatten fallen
auf durch ein besonderes Blau. Sonne, große blanke Kupferscheibe, strahlt
in golden leuchtender Luft, sinkt wie ein Feuerball ins Meer, ein Fischer fährt
vorüber, geht nicht in Flammen auf. Die Sonne bleibt kupfern, ist nun beinah'
fort, ein Tupfen, klare, blaugrüne Flamme wie ein Juwel in goldener Umgebung
auf dunkelblauer See, der grüne Strahl ist vorbei.
[J.P.F. van der Mieden van Opmeer: Hemel en Dampkring 30, 234f, 1932]